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23. Etappe Brigels - Kistenpass (2638m) - Muttseehütte (2501m) - Linthal

12. Oktober - 13. Oktober 2022 (2 Tage)



Ich erwache, 5.30 Uhr...ich kann mich auf meine innere Uhr verlassen und nehme den Zug nach Brigels...vorm Wandern noch ein Café, mit erneut sympathischem Austausch im Hotelrestaurant Alpina.

Mein Weg führt entlang eines Wildbaches, das Wasser tanzt und wirbelt um die grossen Steine. Obwohl es bergauf geht, fühlt sich das Gehen mühelos und leicht an. Viktor Schauberger, Naturforscher, Entdecker und Erfinder beschrieb dies als Levitationskraft. Beim Gehen mit der Strömung kommt einem die Levitationskraft entgegen, was man als leichten Widerstand wahrnimmt. Diese Kraft beobachtete er, als die Forelle über den Wasserfall sprang.

Ich hoffe, dass mich dieser lebendige Wildbach noch länger begleitet...




Am Wegrand fallen mir rote Säcke mit beigefügtem Stern auf; sieht auf den ersten Blick ja ganz hübsch aus. Ich schaue es mir näher an, im Beutel finde ich ein Blatt Papier, auf dem man ein Bilderrätsel lösen kann. Eine Aufgabe von vielen weiteren auf dem sog. "Sternenweg", der zur Kinderanimation dienen soll. Ich anerkenne die gutgemeinte Absicht dahinter, mit solchen Themenwegen Kinder zum Wandern in die Natur zu locken. Gleichzeitig wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Natur an sich nicht genug zu bieten & nicht genug zu entdecken hätte, um ihrer selbst willen "besucht" zu werden.


Oft hört man von Eltern & Lehrpersonen, dass sie einen Anreiz setzen müssen, denn "nur" zum Wandern seien die Kinder eher nicht zu motivieren. Viele Erwachsene sind auch beim Wandern sehr zielfixiert, d.h. von A nach B zu laufen und auf diesem Weg werden "Erwachsenengespräche" geführt. Kinder hingegen, die naturgemäss im "Jetzt" leben, kommen nicht in echten Kontakt, "trotten" dann gelangweilt hinterher, immer wieder fragend "wie weit ist es noch?!" Um von dem irgendwann zu erreichenden Ziel abzulenken, bedient man sich der initiierten "Bespassung". So bleiben die Kinder zwar aktiv, indem sie von Posten zu Posten rennen. Ob sie dabei viel von der Natur begreifend und mit all ihren Sinnen wahrnehmen können, hängt von dem Inhalt des Themenweges ab. Man schafft ein Angebot, was durch den gelenkten Fokus verhindert, dass die Kinder aus eigenem Impuls ihre Entdeckerfreude entwickeln können.

Und um es noch zu steigern, werden mancherorts schillernde Hüpfburgen, Karusell u.ä., gleich neben einer Bergbahn aufgestellt, um Kinder konsumierend zu bespassen. Ich habe ja nichts grundsätzlich gegen solche Spassmacher, aber es wäre schön, diese weniger inflationär einzusetzen. Es nutzt sich ab, wenn jeder Ort mit einem "Attraktivitäts-Etikett" versehen werden muss. Langeweile und freie Räume laden ein, die eigene Gestaltungskraft zu entwickeln - und ein Naturraum kann zum Abenteuerspielplatz werden, der keine Nutzungsanleitung vorgibt.





Gut, habe ich mir gestern noch die Zeit genommen zum Brotbacken und einen energiereichen Lunch vorzubereiten. Denn bis ich die Bifertenhütte auf 2482m erreiche, ist schon späterer Mittag. Eine kleine Kuchenpause und weiter geht es Richtung Kistenpass. Wie es da wohl mit dem Schnee aussehen wird?! Bis auf ein paar kurze Wegstücke, die vorgespurt sind, ist der Weg frei. Von der Passhöhe weist ein Schild noch 30 min. bis zur Kistenpasshütte, welche zwar bereits in Winterpause ist, aber wegen seiner Lage doch lohnenswert, mal anzuschauen.











Ich lasse den Rucksack am Wegrand liegen und steige die Leiter hinab zur bereits winterdichtgemachten Hütte, die wie ein Adlerhorst über dem Stausee thront. Und mich mit einer majestätisch - prachtvollen Aussicht beschenkt.

Wieder zurück beim Rucksack halte ich Ausschau nach dem weiteren Weg, bis ich feststelle, dass es nur einen weiteren Weg gibt - nämlich wieder die Leiter runter, vorbei an der Hütte...ziemlich exponiert entlang des Berghanges und mit Schnee!











Damit habe ich nun nicht mehr gerechnet...ein Abstieg entlang einer -mit Seilen- gesicherten Felswand. Die Spuren im Schnee zeigen bergaufwärts; das wäre mir jetzt auch lieber, da es durch eine andere Gewichtsverlagerung einfacher wäre. Nun habe ich noch meine Stöcke, welche ich nicht angemessen verstauen kann. Es ist zu schmal, als dass ich den Rucksack zum Montieren derer abziehen könnte. Ich nehme sie in eine Hand, mit der anderen greife ich zum Seil, das jedoch durch Nässe nicht so griffig ist.



Einen Augenblick der Erleichterung - ein kleines Plateau um kurz anzuhalten, den Rucksack abzulegen, die Stöcke sicher daran zu befestigen und dann beide Hände frei zu haben, um mich am Seil zu sichern...

bis zu jener Stelle: Ein Stück ohne Seilsicherung - zwischen dem einen und dem nächsten liegen ein paar Schritte im steilen Hang, die ich ungesichert überwinden muss. Jetzt wünschte ich, nur einen kleinen, leichten Rucksack auf dem Rücken zu haben...ich weiss, dass ich den technischen Herausforderungen gewachsen bin, aber es ist jener Moment, wo ich die gefühlte Sicherheit durch den Halt am Seil loslassen muss, der grade ziemlich Überwindung braucht...! Mich ausschliesslich auf den Halt durch die richtige Gewichtsverlagerung und sicheren Fusstritte verlassen und dabei eine maximale Konzentration halten...!


Geschafft! Ich umfasse das nächste Seil kraftvoll...nicht mehr weit ...und ich habe die anspruchsvolle Passage sicher überwunden. Welch ein Glück, dass erst jetzt der Nebel aufzieht und für eine Weile die Fernsicht nimmt.


Schon von weitem sehe ich die Solarpanels an der Staumauer des Muttsees. In der Abenddämmerung komme ich an der Muttseehütte vorbei, ich wandere noch ein kurzes Stück weiter, bis ich ein aussichtsreiches Plateau finde, um mein Nachtlager aufzubauen. Da es noch früh am Abend ist, spaziere ich zurück zur SAC-Hütte. Eine Gruppe ist grade beim Abendessen und noch ein paar weitere Gäste sind zum Übernachten dort. Ich verweile, bis ich mich genug müde zum Schlafen fühle und mit der Stirnlampe zurück zu meinem Zelt spaziere.


Zweimal stehe ich in der Nacht auf, um das Zelt zu verlassen, da ich am Abend viel getrunken habe...ein sternenklarer Himmel, die schneebedeckten Berge glitzern hell im Mondlicht - so still, dass ich -gefühlt- meinen Herzschlag hören kann...

Das Zelt ist mit einer Eisschicht überzogen, nun gilt es, mal wieder kurz die Komfortzone vom warmen Schlafsack in die Kälte zu verlassen...

Doch lieber verlasse ich hin und wieder meine Komfortzone freiwillig - so werde ich auch gelassener bleiben, wenn ich dann mal unfreiwillig meine Komfortzone verlassen muss.

Es ist noch früh, ich entscheide, noch ein Weilchen in der Hütte bei einem Café zu verbringen, bevor ich mich auf den Weg mache, 2000 m ! hinab bis nach Linthal zu wandern...

Ich treffe ein Paar, das in die gleiche Richtung aufbricht und so wandern wir gemeinsam...

...uns gegenseitig inspirierend austauschend. U.a. auch über die Vorzüge des Alleine-Wanderns - im eigenen Rhythmus gehen zu können und dabei auch beobachtender und achtsamer unterwegs zu sein...







Wir kommen vorbei an einer Gruppe von mind. 15 Steinböcken, die im Steingeröll unterwegs sind. Und immer wieder neue Perspektiven einer Landschaft, in allen Schattierungen schönster Herbstfarben.












Die beiden Wegbegleiter nehmen die Bergbahn von Kalktrittli nach Tierfehd und sparen sich somit etwa 1000 Höhenmeter Abstieg. Der Weg hinab schlängelt sich schmal an Felswänden entlang; exponierte Stellen sind mit Ketten gesichert.
















Endlich im Tal, meine Knie sind dankbar nach so vielen Abwärts- Höhenmetern!

Ein Picknick auf der Wiese mit Gesellschaft eines Schmetterlings, der länger auf meinem Hosenbein verweilt...






In der Muttseehütte sagte ein Wanderer, dass es gemäss seiner Wetterapp gegen 14 Uhr regnen könnte; ab 17.30 Uhr käme es dann überall heftig regnen. Wie möchte ich mich entscheiden - ich habe noch bis morgen Abend eingeplant, unterwegs zu sein...spüre jetzt schon - gefühlt- jeden Muskel nach den zwei anspruchsvollen Etappen, morgen früh wahrscheinlich noch mehr. Abgesehen vom Wetter, würde mir eine Wanderpause gut tun. Kurz vor 17 Uhr erreiche ich den Bahnhof Linthal, habe grade eine Verbindung - etwa eine halbe Stunde später prasselt heftig der Regen an die Fensterscheibe des Zuges. Für diesmal bin ich froh, in meiner Komfortzone zu sein und heute Nacht kein Zelt aufbauen zu müssen.







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