22. Dezember 2022 (1 Tag)
10.50 Uhr, ich bin eine Station weiter als Gänsbrunnen gefahren, zurück bis zur Station „Crémines-Zoo“ mit Halt auf Verlangen. Ich steige aus, es regnet und ich ziehe meinen Regenschutz über. Beim Tierpark frage ich zwei Angestellte, ob sie mir den Weg zu dem alten Baum beschreiben könnten - 'irgendwo da oben, aber wo genau wüssten sie nicht- sie seien noch nie dort gewesen…'
So gehe ich ein Stück des Weges zurück bis zum Bauernhof, wo ich vorgestern mit einem Bauern ein paar Worte gewechselt hatte. Er ist draussen am Arbeiten; ich frage ihn, ob er den Weg kenne zu der alten Eibe. Habe ich mir gedacht, dass er Bescheid weiss! So erklärt er mir, als kenne er im Schlaf jeden Quadratmeter des weiten Umlandes, ausführlich den Weg. „Nun ja, er mit seinem Alter brauche schon einiges mehr als eine Stunde, aber ich könne den Weg wohl ungefähr in dieser Zeit zurücklegen". Ich versuche es mir, so gut ich kann, einzuprägen - die S-Kurven, wo welche Wegabzweigung nehmen, Merkmale wie Brunnen, Zaun, etc. - es gibt keine Beschilderung dorthin und das finde ich auch gut so.
Ich erreiche das Plateau einer beschriebenen Anhöhe - hier irgendwo müsste er sein…genauere Angaben habe ich nicht. So stehe ich in einem Wald voller Bäume in einem Steilhang unterhalb Felswänden. Es gibt einige Trampelpfade, die irgendwo aufhören, da haben schon einige gesucht…woran orientiere ich mich?!
Ich möchte ihn finden, also gehe ich geduldig jeder Spur nach…was gefühlt fast so lange dauert wie der Weg bis hierher…dann stehe ich davor!
* Sängerin mir leider unbekannt, die Musik wurde auf einer Veranstaltung aufgenommen und mir weitergeleitet...
Der älteste Baum der Schweiz, eine Eibe, geschätzt auf ein Alter von etwa 1500 Jahren !!
Ehrfürchtig und achtsam nähere ich mich dem Baum, lasse mich von ihm berühren; was hat er schon alles an Geschichten miterlebt?!
Ich setze mich zu ihm, berühre ihn und singe...
Ein magischer Moment - inzwischen hat sich die Sonne ein Fenster durch die Wolkendecke gebahnt und scheint zwischen den Bäumen hindurch auf uns. Für eine Weile scheint sich die Zeit aufzulösen…
Die Sonne zieht sich wieder hinter Wolken zurück, ich verabschiede mich - und fühle mich gesegnet von der Kraft dieses Baumes, der unzählige Jahrhunderte überlebt hat.
Durch eine Schlucht, in der weitere Eiben und alte Bäume stehen, wandere ich zurück und es beginnt wieder zu regnen. Vorbei am Bahnhof in Gänsbrunnen, nun mit einem unvergesslichen Erlebnis reicher als noch vor zwei Tagen, führt mein Weg bergauf zum Grat des Weissenstein.
Der Wind wird stärker, die Sonne versucht kurz nochmals durchzudrücken, aber die Wolken nehmen zu, der Himmel wird dunkler. Je mehr Höhenmeter ich zurücklege, umso heftiger wird der Wind, die Bäume knarren, knirschen, knacksen und biegen sich…ich bin mit grosser Wachsamkeit -das Naturschauspiel beobachtend- unterwegs. Und ich bin froh, alleine unterwegs zu sein, um meine Konzentration ganz beim Geschehen zu haben und bei Bedarf- angemessen reagieren zu können.
Mit einer Abkürzung, mal durch den Berg statt darüber, gelange ich in die Waldschlucht des "Rüschgraben". Der Föhnsturm hat in den vergangenen Tagen den Schnee gänzlich wegschmelzen lassen und ich fühle mich in den Herbst zurück versetzt.
Streckenweise hat sich das Laub so hoch angesammelt, dass es mir beim Durchlaufen bis unter die Knie reicht.
Da ich nur mit leichtem Tagesgepäck unterwegs bin, habe ich keine Trekkingstöcke mitgenommen. Die wären nun aber doch nützlich, denn das Laub ist sehr nass und sobald es steiler wird, beginne ich mit den Füssen zu rutschen. Ich nehme einen passenden dicken Ast - und das "dritte Standbein" lässt mich leichter vorankommen.
Es stürmt, die Baumkronen neigen sich im Wind...doch scheinen sie mir gesund und stabil dem Sturm zu trotzen...
Mit kommt ein Lieblingsspruch von der Philosophin "Pippi Langstrumpf" in den Sinn:
"Der Sturm wird stärker. Das macht nichts, ich auch!"
Zurückblickend auf den Naturpark "Thal"; Teil des Solothurner Jura - eine wildromantische Landschaft mit Fels- und Kretenwäldern, Höhlen, Bachläufen, Schluchten, Föhren- und Buchenwäldern, geprägt durch eine hohe Artenvielfalt.
Auf dem baumlosen Grat bin ich dem Sturm stärker ausgesetzt, mal erwischt mich eine Böe seitlich, mal bekomme ich davon Rückenwind - mein "drittes Standbein", das mir zusätzlich Stabilität gibt, bricht. Doch am Wegrand finde ich einen dickeren Stock - sieht fast wie ein Pilgerstock aus und die Grösse passt perfekt!
Vom Grat des Weissenstein blicke ich unter der Wolkendecke hindurch auf die Aare, deren Flusslauf ich in den kommenden Tagen folgen werde...
Wieder durch eine Waldschlucht hinab Richtung Solothurn - mein Pilgerstock leistet auch abwärts beste Dienste auf dem nassrutschigen Laub.
Etwa halb vier, Bergstation der Seilbahn in Nesselboden...ein Wanderschild, noch 2h10min bis Solothurn. Seit dem Besuch beim alten Baum habe ich keine Pause gemacht! Noch immer bläst ein heftiger Wind; ich gehe zur Seilbahnstation, diese ist wegen dem Sturm geschlossen, aber unter dem Vordach kann ich windgeschützt trinken, essen und eine Weile ausruhen.
Dabei entscheide ich, den kürzeren Weg Richtung Oberdorf zu nehmen, statt den direkten Weg nach Solothurn. Für heute habe ich meine Komfortzone genügend verlassen, da brauche ich nicht noch in der Dunkelheit und stürmischem Wetter weiter zu wandern, nur um ein geplantes Tagesziel zu erreichen.
Ich erreiche den Bahnhof in Oberdorf und entscheide spontan, im Dämmerlicht noch weiter bis nach Langendorf zu gehen. Durch die Agglomeration wäre es nun nur noch eine knappe Dreiviertelstunde bis Solothurn...bei diesem Gedanken meldet sich ein Fuss mit einem Schmerz - o.k. ich höre auf meinen Körper und gönne ihm die verdiente Erholung!
Ein Weitblick zu den Lichtern der Stadt Solothurn...auf dem Weg zur Bahnstation Langendorf komme ich an einem Pub vorbei - einen Pub habe ich schon lange nicht mehr besucht! Getrunken habe ich heute sowieso viel zu wenig, das hole ich jetzt - zur Feier des erfolgreichen Tages, sowie dem Erreichen des 25. Kantons! - ausnahmsweise mal in alkoholischer Form nach - mit Guiness und Weihnachtsbier...
der Zug fährt ohne mein Zutun und bringt mich -halb schlummernd- nach Hause...
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