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passagecoaching

20. Etappe Erstfeld - Amsteg - Fellital - Fellilücke (2478m) Oberalppass (2044m)

11. September - 12. September 2022 (2 Tage)


„Bei einem Fluß ist das Wasser, das man berührt, das letzte von dem, was vorübergeströmt ist, und das erste von dem, was kommt. So ist es auch mit der Gegenwart.“ (Leonardo da Vinci)


Was macht es so faszinierend, entlang eines Baches, eines Flusses zu wandern?!

Ist es das Erleben, in der Gegenwart zu sein und doch nicht stehenzubleiben?!

Der Fluss als Sinnbild für das Leben- den eigenen Lebensweg ?! Mal plätschert es sanft vor sich hin, mal rauscht es in rasanter Geschwindigkeit davon, dann sucht es seinen Weg an Hindernissen vorbei, mal kann ich weit voraus erkennen, wie es weiter verläuft, dann sehe ich nicht mal, was mich nach der nächsten Kurve erwartet...

wie kann ich mich dem Fluss des Lebens anvertrauen ? Wie steuern, ohne es kontrollierend bezwingen zu wollen ?!

Dem Wasser gelingt es immer -mit dem geringsten Widerstand- sein Ziel zu erreichen - von der Quelle zum Ozean.

Dabei vermag es, durch Beharrlichkeit und Geduld, das härteste Gestein zu durchdringen. Dort, wo das Wasser auf ein Hindernis trifft, bildet sich ein Rücklauf- je stärker der Strom und je grösser das Hindernis, das ihn ausbremst, umso weiter das rückläufige Wasser. So geht es uns auch im Leben...je schneller und stärker wir auf eine Front zusteuern, umso mehr bremst es uns aus. Bleiben wir an der Oberfläche, können wir uns noch so anstrengen, aber das Hindernis hält uns gefangen. Das kann man an jedem Wehr beobachten, indem sich z.B. ein Ball an Ort und Stelle dreht. Nur wenn wir das Wasser in der Tiefe erreichen, haben wir eine Chance, mit dem Flow der tieferliegenden Strömung wieder vom Hindernis wegzukommen. Was lehrt uns das ?! Solange wir im "Flow" bleiben, kommen wir auf unserem Weg weiter und wenn uns Hindernisse überraschen, ist es nützlicher nicht gegen sie anzukämpfen, sondern jene Strömung zu suchen, welche uns davon wegträgt, hin zum eigenen Ziel.

Es fasziniert mich, zeitlos zuzuschauen, wie sich das Wasser seinen Weg bahnt und dabei immer wieder den leichtfliessendsten Verlauf zu suchen...


So wandere ich heute von Erstfeld durch das obere Reusstal und weiter durch das Naturschutzgebiet des wildromantischen Fellital immer entlang von Flüssen und Bächen. Eine grosse Ruhe und Gelassenheit begleitet mich; ich fühle mich aufgehoben im Augenblick. Unwichtig, was grade irgendwo anders in der Welt geschieht oder entschieden wird, jetzt zählt nur der gegenwärtige Moment. Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns gehört. Und nur auf diesen habe ich einen Einfluss. Und dabei ist die Natur meine grösste Lehrmeisterin.


Die Blätter haben begonnen sich zu verfärben, überall Anzeichen des nahenden Herbst...wer sagt dem Baum, dass es Zeit ist, seine Blätter fallen zu lassen ? Wer sagt den Vögeln, dass es Zeit ist, in wärmere Gebiete zu fliegen ? Vögel und Bäume hören auf etwas, das weiser ist. Und wir Menschen ? Wie steht es mit unserer Weisheit ?!








Es begegnen mir keine anderen Wanderer oder Wanderinnen, sonst könnte ich die ja mal fragen, was sie denken, wie es um die Weisheit der Menschen steht... Zunehmend habe ich seit geraumer Zeit den Eindruck, dass das viele Wissen die Weisheit bei vielen Menschen verschüttet hat. Was nutzt mir ein Wissen, wenn ich dies nicht weise gebrauchen kann?! Und wer definiert, wie ein Wissen weise eingesetzt wird?! In Zeiten wie diesen, wo wir pausenlos mit Informationen, sowie mit Propaganda aus verschiedenen Interessenrichtungen zugedröhnt werden,

ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, den eigenen Erkenntnisweg zu suchen und zu gehen.









Das wildromantische Tal hat zwar eine besonders faszinierende Wirkung, aber ein bisschen unsicher fühle ich mich dann doch, als eine Herde gehörnter Rinder direkt auf mich zugelaufen kommt. Ich meine, ich finde es ja toll, dass sie ihre Hörner behalten dürfen, nur habe ich nicht soviel Gewohnheit im lockeren Umgang mit ihnen, wenn sie sich mir von allen Seiten neugierig nähern. Leider sieht man nicht mehr so viele Rinder mit Hörnern, dabei ist die Milch von gehörnten Rindern sogar besser für den Menschen verträglich, da diese beim Verdauungsprozess mitwirken. So rede ich ein bisschen mit ihnen und sie lassen mich friedlich an ihnen vorbeiziehen.


Kurz vorm Eindunkeln erreiche ich die SAC-Treschhütte, die abwechselnd von einem Team Freiwilliger bewirtschaftet wird. Derzeit, für eine Woche lang, von zwei pensionierten Männern aus Genf. Ausser mir hat es heute keine Gäste. Es ist noch zu früh zum Schlafen, aber mit einer klaren Sternennacht ziemlich kalt draussen. So baue ich in Hüttennähe mein Zelt auf und verweile dann noch bis zur Müdigkeit mit den "Wirten auf Zeit" bei Tee und leckerer hausgemachter Bündner Nusstorte.

Die Temperaturen sind kälter geworden als erwartet; beim Reinschlüpfen in den kalten Schlafsack entscheide ich, diesen definitiv ab der nächsten Etappe mit dem Winterschlafsack auszutauschen!

Frost am Morgen und ich bin froh, mich noch vorm Loslaufen bei einem Café in der naheliegenden Hütte aufwärmen zu können...


Auf dem Weg zur Passhöhe der Fellilücke auf 2478m darf ich noch zwei weitere Male mitten durch Rinderherden laufen; das gute Zureden dient wohl mehr mir selbst als diesen, welche mich nur neugierig anschauen. Gut, habe ich zumindest ein paar dünne Wollhandschuhe dabei, denn der Schatten hält sich sehr lange...

Der steile Aufstieg zur Fellilücke durch das Geröllfeld ist zum Teil mühsam, weil man oft von Steinblock zu Steinblock steigen muss.

Pass Fellilücke auf 2478 m, eine kleine Pause lang den malerischen Rundumblick einatmen...dann in schnellen Schritten zum Oberalppass, damit ich den Zug erreiche, um rechtzeitig zu einem Termin am Nachmittag anzukommen. Eine ältere Frau kommt mir entgegen und nach einem kurzen Wortwechsel über's Wandern, ergibt sich ein angeregter Austausch und - mitten auf der Wegstrecke - politisieren wir miteinander, während andere an uns vorbei wandern. Ihre wache Beobachtungsgabe und ihre Lebenserfahrungen machen den Austausch interessant; fast habe ich die Zeit darüber vergessen und muss mich schnell verabschieden. Das wird knapp, es ist schon fast halb eins, um 12.53 Uhr ist Abfahrt...ich erhöhe mein Tempo, so gut ich kann...der Zug fährt ein und mit ein paar Sprintschritten schaffe ich es grade noch einzusteigen...




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