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11. Etappe Môtiers - Georges de l'Orbe - Lac de Joux - Vallée de Joux - Montricher (4 Tage)

Aktualisiert: 22. Juni 2022

14. Mai - 17. Mai 2022


...am späten Nachmittag komme ich mit dem Zug in Mòtiers an. Ein alter Mann, welcher blind ist, benötigt Hilfe beim Aussteigen. Er scheint mir recht wacklig auf den Beinen, so dass ich ihm anbiete, ihn bis nach Hause zu begleiten, was er gerne annimmt. Er erzählt mir von seiner heutigen Reise und ich staune über sein Zutrauen, dass er dies alleine schaffen würde. Er beschreibt mir nahezu jeden Schritt, den wir in gefühltem Zeitlupentempo machen, bis wir vor seinem Zuhause ankommen, wo er freudig von seinem Blindenhund empfangen wird.

Da ich nun schon auf dem Weg zur nach Jean-Jacques Rousseau* benannten Höhle und Wasserfall bin, entscheide ich mich, später wieder ins Dorf zurückzukehren.


*Jacques Rousseau (1712 bis 1778) prägte mit seinem aufklärerischen Gedankengut die europäische Geistesgeschichte der Neuzeit ganz entscheidend mit. Ohne ihn und seine Ideen hätte es die Französische Revolution wohl nicht gegeben. In den Jahren 1762 bis 1765 musste er aufgrund von Verfolgung durch kirchliche und staatliche Autoritäten in Môtiers Zuflucht suchen. In dem Gebäude aus dem 15. Jhdt., indem er mit seiner Lebensgefährtin im Exil lebte, wurde ihm zu Ehren ein Museum errichtet. Eines seiner bedeutenden Zitaten, möchte ich an dieser Stelle gerne (nochmals) wiedergeben:


"Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will."


Nach einem Rundweg zum Wasserfall und zur Höhle, kehre ich ins Dorf zurück, um ins "Maison de l'Absinthe" einzukehren.

Hier wird die Geschichte um den sagenumwobenen Absinth aus dem Val de Travers anschaulich erzählt - und natürlich in vielerlei Variationen zum Kosten angeboten. Die grüne Fee, wie der Absinth auch wegen seiner Farbe benannt wird, beflügelte die Künstler der Belle Époque und wurde - ursprünglich von einer alten Frau aus dem Val de Travers, die sich mit Heilkräutern auskannte, hergestellt.

Die grüne Fee wurde international zum Modegetränk. Sie wirkt berauschend und euphorisierend, es wurden ihr halluzinogene Erlebnisse nachgesagt. Van Gogh soll sich im Absinthrausch ein Ohr abgeschnitten haben. Die berauschende Wirkung liegt am Wirkstoff Thujon, der im Wermutkraut enthalten ist.

So probiere ich mal verschiedene Varianten - nicht nur flüssig, auch im Kuchen und Praliné...und wie das in einer Bar üblich ist, kommt man schnell ins Gespräch mit anderen Gästen... mein Rucksack wurde Anlass für Fragen...eine etwas ältere Frau findet Gefallen an meinen Antworten und bietet mir mehrmals an, doch bei ihr zu übernachten - in einem Bett und mit Dusche! Ich versuche ihr zu erklären, warum ich es schätze, hin und wieder auf Komfort dieser Art zu verzichten und wir verabschieden uns wertschätzend für den nicht alltäglichen Austausch.

Kaum aus der Bar, spüre ich nicht nur eine gewisse Beschwingtheit, sondern dass es sich auch ein bisschen in meinem Kopf dreht...die frische Luft und Bewegung lassen mich bald nüchterner werden; die Nacht naht und es wird Zeit, einen Schlafplatz zu finden. Für meine weitere Route ist die Poeta Raisse - Schlucht der einzige Übergang, wenn ich nicht einen sehr grossen Umweg machen möchte...nun bin ich froh, dass ich sie bereits kenne, um im Dämmerlicht zügig schluchtaufwärts zu gehen. Ein mulmiges Gefühl begleitet mich zwischen den dunklen Felsen und dem zeitweise rauschenden Wasser - alle meine Sinne sind völlig aktiviert, ich möchte -selbst wenn es ganz dunkel wird- die Schlucht bis zum Ende durchgehen, um einen Schlafplatz zu finden. Ich habe das Bild eines Geburtskanals vor mir; nicht bis zum Schluchtausgang zu gehen, fühlt sich an, wie mittendrin und in der Enge stecken zu bleiben...ich konzentriere mich auf sichere Tritte über Stege, Brücken und Treppenstufen, bis ich auf einen offenen Wiesenplatz komme - froh, wieder in die Weite atmen zu können, baue ich im Schein meiner Stirnlampe das Zelt auf.

...auch das ist für mich gefühlte Freiheit...wann auch immer, einfach loszugehen - nicht wissend, wohin es mich führen wird und zu vertrauen, dass ich auf jegliche Infrastruktur verzichten kann und die Natur mir genügend Plätze - bei Tag und Nacht- zum Regenerieren zur Verfügung stellt.




Und während ich durch Dörfer, über Wiesen und vorbei an Feldern wandere, empfinde ich eine Dankbarkeit für die Fülle, mit der wir umgeben sind. Und gleichzeitig wissend, wie wenig es wirklich braucht, um Zufriedenheit zu spüren.

Am späten Nachmittag ziehen Gewitterwolken auf, mit etwas Glück erreiche ich noch trocken das Städtchen "Orbe".

Mit Blick auf den Fluss picknicke ich unter einem Dach, während es rund um mich stürmt, blitzt und donnert. Als es weniger regnet, setze ich meinen Weg fort, das Gewitter hält hartnäckig an, ab und zu warte ich an geschützten Plätzen, bis ich im letzten Tageslicht mein Zelt in der Georges de l'Orbe aufbaue. Noch lange bis in die Nacht höre ich das Donnern und den Wind, der am Zelt rüttelt.






Mit dem ersten Sonnenlicht setze ich meinen Weg - begleitet von vielen Vogelstimmen, die den Tag musikalisch begrüssen, durch den Wald fort.

Der Weg ist schmal und oftmals sehr verwurzelt, so dass ich mehr nach unten statt in die Weite schaue und plötzlich erschrocken stehenbleibe:

ein grosses Tier!

Dann schauen eine Gämse und ich uns

im Abstand von max. 1.5 m direkt an...

ich frage mich

"wer ist wohl mehr erstaunt?!"

Für einen längeren Augenblick schauen wir einfach..., bis sie langsam weiterzieht.

In der folgenden Stunde begegne ich noch öfter einem dieser schönen Vierbeiner und freue mich, dass sie sich mir fast zutraulich zeigen.










Der Weg durch die Schlucht ist oft sehr schmal, teilweise mit Drahtseilen gesichert und ab und zu vorstehenden Felsen, bei denen es darauf zu achten gilt, mit dem grossen Rucksack, vorbeizukommen. Zwischendrin gibt es Regenschauer, was den Weg stellenweise rutschig werden lässt...doch die Landschaft belohnt mit mystischer Schönheit.












Als ich den imposanten Wasserfall "Saut du Day" mit herrlichem Pool erreiche, hat sich die Sonne wieder durchgesetzt, was den Sprung ins kalte Wasser noch einladender macht...

















...ein meisterliches Bauwerk - das Viadukt von Vallorbe mit tollem Ausblick...


Genährt von so vielen Natur-Eindrücken,

spüre ich erst, als ich im Städtchen Vallorbe ankomme, wie hungrig ich bin.

Während ich mein Brot, auf der Parkbank sitzend, streiche, habe ich den Impuls, doch mal nachzuschauen, wie lange die nahegelegene Höhle, welche ich gerne besichtigen möchte, geöffnet ist.

Schnell! Alles einpacken und los! Ich sehe ein Wanderwegschild, das 50 min. angibt, wenige Minuten später schlägt die Kirchturmuhr 16 Uhr und um 16.30 Uhr ist letzter Einlass! Soll ich es versuchen?!

Der Weg führt eben dem Fluss entlang . . moderat joggend könnte es reichen ...

sonst müsste ich entweder auf die Besichtigung verzichten oder bereits hier übernachten - beides möchte ich nicht. 16.29 Uhr! ist es gemäss der Frau an der Eintrittskasse und ich darf in die magische Höhle! Ganz allein habe ich sie für mich, was ich zwischendrin auch mal etwas unheimlich finde - die vergessen mich hoffentlich nicht, wenn sie den Eingang vorm Nachhause gehen zuschliessen...!















...von hier noch 2 h bis nach Le Pont am Lac de Joux...eine schöne Perspektive für die kommende Übernachtung...







Der Lac de Joux mit den beiden kleineren Lac Brenet und Lac Ter gehören zu den landschaftlichen Juwelen des Vallée de Joux. Diese Tallandschaft liegt inmitten dichter Tannenwälder und grüner Weiden.

An der Promenade von Le Pont nehme ich ein Apero, lasse meinen Blick schweifen, um mein heutiges Nachtlager "Zur schönen Aussicht" zu wählen.










...noch ist es zu früh und die Nacht zu schön zum Schlafen, so dass ich am Feuer sitzend noch eine Weile meinen eigenen Gedanken lausche...















...schon wieder ein sonnig-farbenfreudiger Tag! Mein Weg führt durchs Vallée de Joux, vorbei an bunten Bergblumen, Tannenwäldern, allerlei Heilkräutern, ... ich komme zum "Buvette de Châtel" - schon seit 1960 bekannt und beliebt für seine regionalen Köstlichkeiten. Beim Bestellen weist mich der Kellner darauf hin, dass sie nur Bargeld annehmen können - umso besser antworte ich - "nächstes Mal komme ich mit allen meinen "Bargeld ist Freiheit"- Initiativ - Freunden!" Und selbstverständlich mache ich somit umso lieber Werbung für diesen sympathischen Ort...


...immer wieder mit weitem Blick auf den Genfersee nähere ich mich dem idyllischen Dorf Montricher., das noch einen traditionellen Waschbrunnen-Platz hat...Kinder kommen von der Schule vorbei und finden es toll, dass ich darin ein Bad nehme...bevor ich etwas später frisch in den Zug nach Hause steige...beschenkt von einer weiteren Reise-Etappe, die mich stärkt, um den gesellschaftlichen und politischen Geschehnissen der Zeit mit mehr innerer Freiheit & Unabhängigkeit zu begegnen...






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